Foto: K. Dorsch

19.11.2024
»Einfach ist es nicht, aber jemand muss es ja machen«

Holocaust-Überlebender Abba Naor beeindruckt Kemptener Schüler mit seiner bewegten Lebensgeschichte

Man kann eine Stecknadel fallen hören, wenn der NS-Zeitzeuge Abba Naor seine persönlichen Erlebnisse im Ghetto in Litauen und in den Konzentrationslagern Stutthof, Utting am Ammersee und Kaufering I schildert. Bereits zum dritten Mal ist der 96-jährige geborene Litauer auf Einladung von Landtagsvizepräsident Alexander Hold ins Allgäu gekommen, um als einer der letzten lebenden Zeitzeugen von den Schrecken des Holocausts zu berichten. »Ich freue mich, dass wir auch dieses Mal wieder alle elften Klassen der drei Kemptener Gymnasien in der Turnhalle des Allgäu-Gymnasiums versammeln konnten, um den Schülerinnen und Schülern diese einmalige Chance zu geben«, so Alexander Hold.

Er hat Abba Naor in seiner Funktion im Stiftungsrat Bayerische Gedenkstätten kennengerlernt und ist mit ihm seither eng in Kontakt. »Zeitzeugen berichten aus erster Hand, was eine unvergleichliche Perspektive bietet, die kein Geschichtsbuch ersetzen kann. Persönliche Geschichten machen die historischen Ereignisse viel greifbarer und emotional nachvollziehbarer. Ich halte es daher für immens wichtig, dass wir die Erinnerung an die fürchterlichen Geschehnisse aus der Vergangenheit am Leben erhalten und durch solche Begegnungen wie mit Herrn Naor dazu anregen, sich aktiv für Gerechtigkeit und Toleranz einzusetzen«, unterstreicht der Kemptener Abgeordnete. Knapp zwei Stunden erzählt Abba Naor frei und ohne Skript seine Lebensgeschichte. Beginnend mit seiner Kindheit in Litauen, der Zeit der Besetzung durch die Sowjets und später dann durch die Nationalsozialisten bis hin zu seinem Leben im Ghetto Kaunas. 1944 wurde das Ghetto geschlossen und die verbliebenen Bewohner in Konzentrationslager deportiert. Naor erzählt offen von seiner Kindheit, den Verlusten seiner Familie, den Qualen in den Lagern und seinem Überlebenskampf. Mit gerade mal 17 Jahren wird er auf dem Todesmarsch im Frühjahr 1945 von den Amerikanern befreit.

Die Frage nach Gott
»Glauben die Menschen, die mir zuhören?« – diese Frage stellt er sich immer wieder und diese Frage stellt er sich auch vor den Allgäuer Schülerinnen und Schülern. »Es muss jeder mit sich selbst ausmachen. Ich kann nur erzählen«, so seine Antwort. Auch auf die Frage, ob er gläubig sei, bezieht der 96-jährige klar Stellung: »Ich bin nicht gläubig. Ich beneide jeden, der einen Glauben hat. Es lebt sich leichter, wenn man gläubig ist. Ich bin froh, dass ich den Glauben an die Menschheit nicht verloren habe.« Und er fügt hinzu: »Ich habe im KZ oft zum Himmel geschaut und Gott gefragt, wo er sei. Er hat nicht geantwortet.« Erst seit knapp 25 Jahren spricht Abba Naor über seine dramatische Kindheit und die Zeit in den Lagern. Zuvor habe er andere nicht damit belasten wollen, vor allem nicht seine Familie. Heutzutage ist er trotz seines hohen Alters mehrere Monate im Jahr in Süddeutschland unterwegs, um Zeitzeugenspräche an Schulen, Universitäten oder der KZ Gedenkstätte Dachau zu halten und an die kommende Generation zu appellieren, sich aktiv gegen Antisemitismus, Intoleranz und Extremismus einzusetzen. Auch dieses Mal waren die Zuhörenden wieder tief beeindruckt von der kraftvollen Botschaft Naors und dem offenen Gespräch am Ende, bei dem er immer wieder seinen feinen Humor durchblitzen ließ. »Ich hoffe sehr, dass wir Herrn Naor im nächsten Jahr wieder hier im Allgäu begrüße können. Sofern es gesundheitlich geht, werden wir alles tun, um ihn erneut zu uns zu holen«, verspricht Hold abschließend.