Foto: Kathrin Dorsch

26.04.2023
»Hass ist eine Krankheit, Kinder!«­

Auf Einladung von Landtagsvizepräsident Hold berichtete der Holocaust-Überlebende Abba Naor vor 250 Schülerinnen und Schülern über seine ergreifende Geschichte

Auch dieses Mal war es in der Halle des Allgäu-Gymnasiums in Kempten über 2 Stunden lang gespenstisch still, als Abba Naor über seine Zeit im Ghetto und im KZ berichtete. Rund 250 Schülerinnen und Schüler der Q11 aller drei Kemptener Gymnasien durften diese Woche das Zeitzeugengespräch des 95-jährigen gebürtigen Litauers erleben, der die Grausamkeit des NS-Regimes am eigenen Leib spürte und dessen Mutter und Brüder ermordet wurden. »Ich bin sehr dankbar, dass ich Herrn Naor ein zweites Mal dazu bewegen konnte, den Weg ins Allgäu auf sich zu nehmen, um möglichst vielen Jugendlichen als einer der letzten lebenden Zeitzeugen von seinen Erlebnissen zu berichten«­, sagte Alexander Hold am Rande des Gesprächs.

Dieser hat seit dem ersten Zusammentreffen im Rahmen einer Veranstaltung der Stiftung Bayerische Gedenkstätten einen engen Kontakt zu dem 95-jährigen Naor. Nachdem der erste Besuch im Allgäu vor einem Jahr von den teilnehmenden Jugendlichen als »tief bewegendes und einmaliges«­ Erlebnis beschrieben wurde, hatte Hold seine Einladung für einen zweiten Besuch ausgesprochen. »Es ist ein Geschenk, dass Herr Naor weiterhin so fit ist und sein Versprechen nun einlöst. Denn die persönliche Schilderung ist durch nichts zu ersetzen. Solange sie möglich ist, will ich helfen, jede Chance dazu zu nutzen «­, unterstrich Hold bei der Begrüßung. Die Mission Naors ist klar: Die Erinnerung wachhalten und den »Kindern«­ schildern, zu was Menschen fähig sein können. Wenn alle hinschauen oder bewusst wegschauen. »Ich frage mich oft, ob die Kinder mir glauben. Wenn ich das erzähle und meine Bilder zeige«­, verriet er. Sein knapp 2-stündiger Vortrag zeigte in aller Deutlichkeit, mit welcher organisierten Grausamkeit die Nazis versucht haben, die damaligen Länder Europas judenfrei zu machen. Untermauert werden die Erzählungen von Originalbildern, die damals ein jüdischer Häftling und gelernter Fotograf im Konzentrationslager gemacht und in einer Milchkanne vergraben hatte, in der Hoffnung, dass diese eines Tages gefunden würden. Die Erinnerung an seine Geschichte floss auch beim zweiten Besuch im Allgäu aus Abba Naor heraus: seine beschauliche Kindheit in Litauen, bis die Sowjets und später die Nazis kamen. Seine Zeit im Ghetto in Kaunas, wo sein älterer Bruder erschossen wurde. Dann seine Zeit im Konzentrationslager Stutthof bei Danzig, als er seine Mutter und seinen jüngeren Bruder das letzte Mal sah. Beide wurden im Juli 1944 nach Auschwitz deportiert und dort noch am selben Tag vergast. Später war er im gefürchteten Außenlager Kaufering I des KZ Dachau. Zwölf Stunden Zwangsarbeit, unerträglicher Hunger, Verrat, Läuse, Schläge und die stete Gewissheit: »Wir wussten, dass wir sterben würden. Wir wussten nur nicht, wie und wann.«­ Am 2. Mai 1945 wurde er mit 17 Jahren auf dem Todesmarsch in den Süden von den Amerikanern befreit. »Verspüren Sie Hass?«­ – so lautete eine der vielen Fragen eines Schülers am Ende des Vortrags: »Anfangs habe ich gehasst. Aber dann wollte ich nicht mehr mit Hass leben. Hass ist eine Krankheit, eine schlimme Krankheit. Ich will niemanden beschuldigen, ich will Euch davor warnen, falschen Propheten zu glauben. Wir sind alle Menschen und wollen auch wie Menschen behandelt werden.«­ Naor endete mit einem Satz, den er bei seinen Vorträgen öfter wiederholt: »Trotz meiner ganzen Erlebnisse glaube ich an eines ganz fest. Das Leben ist eine feine Sache. Wenn man das Richtige tut.«­